von Benedikt Döllmann
In der Tübinger Altstadt soll es künftig mehr Platz für Fuß- und Radverkehr geben – und weniger Autos. Das hat der Gemeinderat im Mai mit dem „Rahmenplan Altstadt“ beschlossen. Nach langer Bürgerbeteiligung ist das ein hoffnungsvolles Zeichen. Zur öffentlichen Gemeinderatssitzung kam niemand, um zu protestieren.
Ganz geräuschlos lief die Abstimmung dann aber doch nicht ab. Die Tübinger Liste stellte den Antrag, dass in den neuen Fußgängerzonen auch keine Fahrräder mehr fahren dürfen – mit Verweis auf die Sicherheit des Fußverkehrs. Was das bedeuten würde, zeigt ein einfaches Beispiel.
Stellen wir uns zwei Familien vor, die in der Judengasse wohnen: Die eine fährt schon immer Fahrrad und hat sich kürzlich einen Fahrradanhänger gekauft. Die andere Familie nutzt ihr Auto, das auf einem privaten Stellplatz neben ihrem Haus steht.
Würde es nach der Tübinger Liste gehen, müsste Familie Fahrrad ihre Kinder morgens in den Anhänger setzen und diesen bis zum Haagtorplatz schieben. Erst dort dürfte sie aufs Rad steigen. Familie Auto dagegen dürfte ihre Kinder direkt von der Judengasse aus wie früher mit Ausnahmegenehmigung im Auto durch die Altstadt fahren. Die einen schwitzen am Anhänger, die anderen kurbeln die Klimaanlage auf Stufe drei.
Das ist absurd. Wer klimafreundlich unterwegs ist, soll schieben, während Autos weiter durchfahren dürfen? Wenn Sicherheit das Argument ist, dann müssten eigentlich auch Autos geschoben werden – zwei Erwachsene vorne, ein Kind sichert hinten mit Warnweste ab – alles andere wäre inkonsequent.
Tatsächlich träfe der Antrag nicht nur Familien mit Anhänger. Auch für alle, die mit dem Rad in die Altstadt kommen, um Kaffee zu trinken oder einzukaufen, würden wir damit (mal wieder) ein neues Tübinger Modell einführen: den „Schiebeverkehr“. Damit wäre Tübingen die erste Stadt, die offiziell das Gehen mit Fahrrad fördert – und wer weiß, vielleicht auch bald mit dem Auto.
Die Mehrheit des Gemeinderats hat den Antrag abgelehnt. In den neuen Fußgängerzonen darf man weiterhin Rad fahren. Rund um Marktplatz und Holzmarkt bleibt Radfahren verboten. Als Stadt, die Klimaschutz ernst nimmt, spielen wir die Leute nicht gegeneinander aus. Alle sollen in die Stadt kommen können und alle sollen Rücksicht aufeinander nehmen. Egal ob mit dem Fahrrad, dem Rollstuhl oder zu Fuß. Meine Fraktion und ich freuen uns auf unsere neue Altstadt!
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