Wo wollen wir 2024 trotz Haushaltsdisziplin investieren

Asli Kücük spricht für AL/Grüne Tübingen

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Palmer,
sehr geehrter Herr Erster Bürgermeister Soehlke,
sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Dr. Schäfer-Vogel
sehr geehrte Kolleg:innen des Gemeinderats,
sehr geehrte Gäste,

wir haben in den letzten Jahren gemeinsam vieles erlebt, was unseren Haushalt immer betroffen hat. Ich persönlich dachte fast jedes Jahr: Gut, wenn wir das gewuppt haben, dann können wir durchatmen. 

Wir erlebten die weltweite Corona-Pandemie mit allen Konsequenzen während sie andauerte, und den Folgen, die wir heute noch spüren.

2020 schrumpfte die deutsche Wirtschaft um 3,7 Prozent. Auch das Jahr 2021 prägten die Infektionswellen und Schutzmaßnahmen noch ganz wesentlich – mit starken Schwankungen der Wirtschaftsaktivität. Dennoch hatte ich Ende 2021 die Hoffnung, dass wir uns 2022 erholen und mal wieder durchatmen können. 

Dann kam Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine mit massiven Folgen für unsere Wirtschaft. 

Ende 2022 sagte der Präsident der deutschen Bundesbank, Dr. Joachim Nagel, in einer Rede in Karlsruhe:

„Vor Russlands Krieg gegen die Ukraine war ein starker Aufschwung zu erwarten. Die pandemiebedingten Einschränkungen und die Lieferengpässe schienen endlich nachzulassen. Der Krieg aber brachte neue Unsicherheit als Belastungsfaktor für privaten Konsum und Investitionen. Außerdem verursachte er einen massiven Anstieg der Rohstoffpreise für Energie.“ 

In der Folge erlebten wir 2023 eine starke Inflation. Am 7. Oktober kam der furchtbare Angriff der terroristischen Organisation Hamas auf Israel. Als einen „menschenverachtenden Überfall“ bezeichnet Bundeskanzler Olaf Scholz diesen Angriff der Hamas. Dem kann ich mich nur anschließen. Auch dieses grausame Geschehen hat Auswirkungen auf unsere Wirtschaft. 

Erst vor kurzem, am 16. Januar dieses Jahres bestätigte das Statistische Bundesamt, dass sich die Inflationsrate in Deutschland für das Gesamtjahr 2023 auf 5,9 Prozent belief.

Angesichts der Geschehnisse immer noch keine Spur von durchatmen. 

Im November letzten Jahres wollte die Koalition ihren Haushalt für 2024 verabschieden. Doch das Bundesverfassungsgericht machte der Ampel einen dicken Strich durch die Rechnung. Stattdessen musste Bundesfinanzminister Christian Lindner einen Nachtragshaushalt einbringen, weil im Haushalt 2024 eine Milliardenlücke klaffte, besser gesagt, klafft. Von durchatmen immer noch keine Spur. 

Alle Ebenen des Landes betrifft diese Haushaltskrise, denn es muss gespart werden. 

Womit ich bei uns auf kommunaler Ebene einsteigen möchte. Auch wir spüren deutlich, dass es kriselt. 

Ein Gesamtdefizit von über 30 Millionen Euro ist der aktuelle Stand. Bereits am 9.10.2023 konnten wir im Tagblatt lesen, dass der Oberbürgermeister schon vor der Einbringung des Haushalts warnte: „Tübingen geht das Geld aus.“ 

Durch alle Krisen der letzten Jahre haben wir gut gewirtschaftet, aber die kommenden Jahre werden keine rosigen Finanzjahre sein. Geplant sind hohe Darlehensaufnahmen, welche wir natürlich absichern müssen. Nur mit den Erträgen schaffen wir das voraussichtlich nicht, unsere Rücklagen müssen als Sicherheit die Situation auffangen. Und hier fangen die Probleme an, denn wenn wir diese Rücklagen einsetzen müssen, um Zins und Tilgung der kommenden Jahre zu leisten, schrumpfen unsere Sicherheiten und der Haushalt könnte/kann gefährdet sein. 

Laufende Kosten müssen aus den Erträgen bezahlbar sein. 

Es ist ungefähr so, wie, wenn Sie zu Ihrer Bank gehen und nach einem Kredit für Ihre laufenden Mietkosten fragen würden. Die Bank würde dies verneinen und Ihnen sagen, dass Sie dann entweder in eine günstigere Wohnung ziehen müssen oder Sie müssen mehr Geld verdienen, um ihre laufenden Kosten zu decken. 

Da stehen wir also und müssen das regeln. Strengste Haushaltsdisziplin ist angesagt.

Und das in diesen schwierigen Zeiten, in welchen wir immer noch insbesondere bei den Sozialleistungen die Spätfolgen der Pandemie auffangen müssen. Selbstverständlich wollen wir hier unseren Aufgaben nachkommen. Nicht nur bei unseren kommunalen Pflichtaufgaben, sondern auch bei unseren sogenannten „Freiwilligkeitsleistungen“. Für mich nur „sogenannte“ Freiwilligkeitsleistungen, denn egal ob Vereine oder Beratungsstellen oder Bildungseinrichtungen und vieles mehr, gesellschaftlich sind das unsere Stützen, die sich um vieles kümmern, was wir sonst nicht auffangen könnten. 

Und das in gesellschaftspolitisch sehr bewegten Zeiten. Seit Wochen gehen Menschen für unsere Demokratie auf die Straßen. Und das ist gut so, denn unsere Demokratie ist ein hohes Gut und muss auf allen Ebenen verteidigt werden. Nicht nur als Herrschaftsform, sondern auch als Gesellschafts- und Lebensform. Sie ist es, die unsere Menschen solidarisch macht. Rechtsextremistische Gruppierungen und Kräfte greifen diese Demokratie an. Sie wollen Menschen aus unserer Gesamtgesellschaft ausgrenzen. Das werden wir nicht zulassen. 

Also kommen wir selbstverständlich für alle Sozialleistungen, inklusive den „sogenannten“ Freiwilligkeitsleistungen, so gut als möglich auf. Tarifanpassungen gehören dazu. Inflationsbereinigungen auch. Allerdings müssen wir überall solidarisch zusammenstehen und etwas sparsamer sein, als wir es die letzten Jahre gewohnt waren. Ich bin überzeugt, dass wir das schaffen und sage an dieser Stelle Danke an alle, die uns Verständnis entgegenbringen, wenn wir an der einen oder anderen Stelle nicht allen beantragten Summen in voller Höhe nachkommen können.

Wir werden das ab heute Abend nach der Gemeinderatssitzung mit den anderen Fraktionen nach bestem Wissen und Gewissen besprechen und schauen, dass wir allem und allen gerecht werden. 

Aber nicht nur Anträge für Freiwilligkeitsleistungen werden wir besprechen, sondern auch die Anträge der Fraktionen des Gemeinderats. 

Wir AL/Grüne haben bei unserer Klausur viele Anträge besprochen, haben abgewogen, welchen wir wirklich stellen wollen und welchen nicht. Oder eben nicht jetzt, weil Haushaltsdisziplin angesagt ist. Es ist uns nicht immer leicht gefallen, denn zu tun oder besser gesagt zu verbessern oder zu erweitern gibt es immer was. 

Dennoch haben wir beschlossen, dass wir uns auf das wichtigste konzentrieren. 

Dazu gehört beispielsweise das Thema bezahlbarer Wohnraum. So wollen wir unsere GWG stärken. Unsere städtische Wohngesellschaft ist es, die hier viel leistet und wir brauchen diese Wohnräume, damit Menschen mit Durchschnittseinkommen bei uns eine Wohnung finden. Es mangelt in allen Bereichen an Fachkräften. Von der Klinik bis zur Kinderbetreuung. Allerdings, wenn wir den Menschen keine Wohnungen bieten können, dann werden wir sie eben auch für die Jobs nicht oder eher schlecht gewinnen können. Mal schauen, wie wir uns in diesem Bereich mit den anderen Fraktionen bei den Verhandlungen einigen können. 

Stichwort Kinderbetreuung. Nur mit der Wohnung ist da auch nicht geholfen, denn Menschen mit Kindern, die arbeiten, brauchen auch eine Kinderbetreuung. Wir haben viel überlegt, viel diskutiert und dann beschlossen, dass wir die Tageseltern in Tübingen unterstützen wollen. Zwar hat der Kreis auch eine kleine Erhöhung in diesem Bereich beschlossen. Aber eben nicht genug, so dass Tageseltern auf eine einigermaßen faire Vergütung kommen. Aufgrund mangelnder Fachkräfte in Kitas und Kindergärten haben das andere Städte, wie beispielsweise Rottenburg, auch schon gemacht. Tun wir das nicht, laufen wir Gefahr, dass unsere Tageseltern Kinder aus den Städten aufnehmen, die hier mehr finanzielle Leistungen einbringen. Deshalb haben wir einen Antrag gestellt, der bereits aktive Tageseltern durch eine höhere Vergütung unterstützen soll. Aber wir wünschen uns durch den Erstkostenzuschuss, den wir ebenfalls eingebaut haben, dass mehr Menschen motiviert sind, dieser Aufgabe nachzukommen. Wir hoffen auf Zustimmung der anderen Fraktionen. 

Wir bleiben im Betreuungsbereich. Nur bei etwas älteren, nämlich Jugendlichen und Schule. Auch hier gibt es in Tübingen Defizite. Wir wissen alle, dass die Betreuungsschlüssel auch hier nicht erfüllt werden. Außerdem bekunden Schulen einen größeren Bedarf an psychischer Betreuung. Corona und andere Geschehnisse in der Gesellschaft haben ihre Spuren hinterlassen. Wir beantragen hier zwei Stellen, welche die Stadt je nach Bedarf an den Schulen verteilen soll. 

Auch ein großes Thema unserer Zeit ist die Digitalisierung. Dass wir in Deutschland insgesamt, also auch in Tübingen, in diesem Bereich nicht gut dastehen, wissen wir alle. Aber es ist nachhaltig entlastend, wenn wir uns hier schneller entwickeln. Deshalb haben wir hier mehrere Anträge gestellt, die diese Abteilungen unterstützen sollen. Insbesondere die Sicherheit spielt eine große Rolle. Deshalb soll auch dieser Bereich mit einem oder einer Infomationssicherheitsbeauftragten gestärkt werden. 

Diese drei großen Blöcke waren uns sehr wichtig. Wir haben noch wenige andere Anträge gestellt. Beispielsweise eine Zuschusserhöhung bei der „Netten Toilette“. Die aktuellen Zuschüsse decken bei hochfrequentierten Orten nicht mal annähernd die realen Kosten. 

Dass wir fast nur in diesen drei großen Blöcken Anträge gestellt haben, bedeutet nicht, dass wir andere Bereiche als weniger wichtig betrachten. Beispielsweise in unserem Herzensthemenbereich, dem Umwelt- und Klimaschutz. Dank des vom Gemeinderat einstimmig beschlossenen Klimaschutzprogramms „Tübingen klimaneutral 2030“ ist hier schon sehr viel passiert oder am passieren. Darüber sind wir natürlich sehr erfreut und werden hier immer unser bestes geben, um die Verwaltung oder die Stadtwerke oder andere Player im weiteren Verlauf der Erfüllung der Maßnahmen zu unterstützen. 

Ein paar Worte noch zu unseren Hebesätzen bei Grundsteuer und bei Gewerbesteuer. Bei beidem sehen wir keine Notwendigkeit, dass hier dieses Jahr irgendwas verändert werden soll. 

Bei der Gewerbesteuer wollen wir mindestens dieses Jahr noch schauen, wie sich die Lage entwickelt. Insbesondere bei mittelständischen Unternehmen, aber auch bei den größeren Unternehmen. Tübingen und Tübingens Unternehmen leiden ebenfalls unter den wirtschaftlichen Schwankungen. Wir wollen sie nicht zusätzlich mit einer Erhöhung des Hebesatzes belasten. Wir werden das mit den Kolleg:innen des Gemeinderats in den Verhandlungen besprechen und schauen wie wir eine Lösung finden. 

Bei der Grundsteuer sehen wir ebenfalls keinen Bedarf jetzt etwas zu ändern. Hier warten wir auf die Umsetzung der gesetzlichen Änderungen und besprechen das Thema dann.

Wie jedes Jahr bleibt mir nur noch zu sagen, dass Tübingen eine lebens- und liebenswerte Stadt ist. Wir versuchen das Leben hier für uns alle gut zu gestalten. 

Finanziell werden wir wohl dieses und die kommenden Jahre den Gürtel etwas enger schnallen müssen. Aber das ist nicht das erste mal und bestimmt nicht das letzte mal. Tübingen hat schon früher schwierige Zeiten gemeistert und auch dieses mal werden wir die Situation hoffentlich gut meistern. Auch wenn einer fehlt, der uns beim Haushalt immer eine wichtige und wertvolle Stütze oder Gesprächspartner war. Dietmar Schöning. Ich glaube, dass niemand im Gemeinderat schon mal einen Haushalt ohne Herr Schöning gemacht hat. Es ist ein großer und sehr trauriger Verlust. Wir wünschen seinen Angehörigen und allen seinen Wegbegleiter:innen viel Kraft in dieser schweren Zeit. 

Liebe alle,

ich wünsche uns gute Verhandlungen, aber da mache ich mir keine Sorgen. Ich finde, dass wir das immer gut hinbekommen haben. 

Für die Fraktion AL/Grüne

Asli Kücük

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