Der Haushalt und das Tagblatt

Annette Schmidt hielt für AL/Grüne die Rede zum Haushalt 2021.
Sprach zur finanziellen Situation der Stadt, wie die Haushaltsverhandlungen mit den anderen Fraktionen liefen, stellte einzelne Haushaltspositionen dar und übte Kritik über die Berichterstattung und die Deutungen des Tagblatts.

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Palmer,
sehr geehrter Herr Bürgermeister Soehlke,
sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Harsch,
liebe Kollegen und Kolleginnen des Gemeinderats,
sehr geehrte Gäste,

wir erleben zurzeit eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Krise, wie sie die meisten der heute hier Anwesenden noch nicht erlebt haben. Diese pandemiebedingte Krise geht natürlich auch am Tübinger Haushalt nicht vorbei, sondern bestimmt ihn sehr stark. Was heißt das für die Fraktion AL/ Grüne, wie gehen wir mit dieser Situation um? 

Zuerst einmal akzeptieren wir den Tübinger HH, so wie ihn uns die Verwaltung vorgelegt hat weitgehend und bringen lediglich einige wenige gut begründete Korrekturen an. Die wichtigsten will ich kurz nennen: 

Zuerst zu den gesellschaftspolitischen Themen: Wir haben uns gemeinsam mit anderen Fraktionen dafür eingesetzt, dass 20 000 € Projektmittel für Honorarkräfte eingestellt werden, damit die EU-Charta umgesetzt wird. Wir möchten gerne, dass die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Ausländerbehörde an Antidiskriminierungsschulungen teilnehmen können und haben dafür die entsprechenden Maßnahmen im HH getroffen. Wir haben 100 000 € für die Belebung der Innenstadt nach Corona eingestellt, damit soll so etwas wie „Gönn Dir 2“ oder ähnliches finanziert werden. Wir unterstützen den Antrag der SPD auf Verstetigung der Zuschüsse an die VHS und AL/Grüne hat eine ½ Stelle für eine oder einen Queerbeauftragten eingebracht, allerdings noch mit Sperrvermerk versehen. Dies ist sowohl finanziell als auch inhaltlich gesehen, eine wegweisende Veränderung an diesem HH, denn damit wird sich die Stadtverwaltung einem wichtigen gesellschaftlichen Thema zuwenden. Wir sind nicht der Meinung, dass es sich bei diesem Thema um Partikularinteressen handelt – wie in den Verhandlungen von der CDU geäußert -, sondern wir sind der Auffassung, dass es in dieser Thematik noch viel Nachholbedarf gibt, und wir als Stadt hier eine koordinierende Aufgabe zu übernehmen haben. Wir sind gespannt auf das Konzept, das uns die Stabsstelle vorlegen wird und hoffen, dass wir auch die noch etwas zögernden Kollegen und Kolleginnen im Gemeinderat von der Aufhebung des Sperrvermerks überzeugen können. Wir stimmen der finanziellen Unterstützung des Berghofes zu. Wir hatten kein Geld dafür eingestellt, nicht weil wir das Projekt nicht gut finden, ich glaube da sind wir uns alle im Rat einig, dass das eine tolle und wichtige Sache ist, sondern weil wir Sorge haben, dass wir uns hier eine neue große Aufgabe ans Bein binden, wenn die Drittmittel auslaufen. Diese Bedenken haben wir auch immer noch, aber wir haben sie jetzt erst einmal zurückgestellt wegen den beiden wichtigen Thematiken, dem Bildungsauftrag zum Thema nachhaltige Landwirtschaft und der Betreuung von Jugendlichen, die ja teilweise sehr von den Umständen, die Corona mit sich bringt, belastet sind. Wir haben das erfolgreiche Programm Ausbildungsstipendium für Geflüchtete erhöht und eine weitere Stelle für einen Azubi geschaffen, der in der dualen Ausbildung Informatik studiert, weil es auch in Zukunft großen Bedarf an digitaler Kompetenz in der Verwaltung gibt.  

Was die Kultur angeht, so haben wir uns dem Antrag vieler Fraktionen auf die Unterstützung von PACT gerne angeschlossen, ebenso wie dem Antrag des Fördervereins für Jüdische Kultur zur Sanierung des Wankheimer Friedhofs und dem Antrag der FDP auf eine Verstetigung der Zuschüsse. 

Und nun zu den Themen Ökologie, Verkehr und Klimaschutz. Wie auch viele andere Fraktionen, haben wir uns für eine dauerhafte Fortschreibung des Programms zum Schutz der Artenvielfalt eingesetzt und für eine Bezuschussung des Umweltzentrums in der ursprünglich beantragten Höhe gesorgt. Die Fahrradwege nach Weilheim usw. werden auf unsere Initiative hin markiert, die Teilautos, die auf städtischem Grund parken, werden von der Stellplatzmiete befreit und wir haben gemeinsam mit der FDP und der SPD Mittel für weitere Informationsveranstaltungen zur Stadtbahn eingestellt. Und nun das vielleicht wichtigste Thema des HH: die umfassende Bezuschussung des ÖPNVs, um auf das Niveau einen 365 € Tickets zu kommen bei gleichzeitiger Ausweitung des Angebots. Dies ist ein schon lange diskutiertes Thema von uns, aber hier wurde es von der SPD eingestellt. Wir hatten ehrlich gesagt starke Zweifel, dies ausgerechnet im Corona-Jahr zu fordern. Aber nachdem die SPD dies nun so forsch angeht, sind wir auch dabei. Derzeit wurden 200 000 € eingestellt, um mit dem Fahrplanwechsel im Dezember 2021 damit beginnen zu können. Im Laufe des Jahres handeln wir noch die Details aus, die sich eng an dem orientieren was im Klimaprogramm zum Thema von AL/Grünen, SPD und FDP ausformuliert wurde. Finanziert wird das Ganze dann im Idealfall aus dem Bundesprogramm zur Stärkung des ÖPNV, auf das wir uns beworben haben, das allerdings sehr stark nachgefragt ist. Längerfristig erfolgt die Finanzierung auf jeden Fall über die Nahverkehrsabgabe, die ja im Vorabkoalitionsvertrag schon deutlich skizziert wurde. Möglicherweise entsteht dann noch eine Lücke von ein oder zwei Jahren, in denen diese beachtlichen Kosten, aus dem städtischen HH finanziert werden müssen. Teilweise zumindest können hier die erhöhten Stellplatzgebühren dafür herangezogen werden, die ja nur im ersten Jahr in den allgemeinen HH gebuttert werden sollen. Über den eventuellen Fehlbetrag von ca. 1,5 Millionen € müssen wir uns dann im Sommer unterhalten. Wir sind sehr zufrieden mit dieser Entscheidung und glauben, dass diese Stärkung des ÖPNV uns einen großen Schritt nach vorne bringt, was den Klimaschutz angeht.

Im Investitionshaushalt haben wir zusätzliche Mittel für die energetische Sanierung von Dach und Fassade des Sophie Haug Kindergartens und für den Einbau einer Wärmepupe und einer PV Anlage bei der Feuerwehr in Derendingen eingestellt. Wir fordern die Stadt damit auf, sich noch stärker als bisher, um die sehr lukrativen Bundeszuschüsse für energetische Sanierung zu kümmern. 

Wir haben die Sanierung des Kunstrasenplatzes des SSC bereits für dieses Jahr veranschlagt und den Anbau an die Grundschule in Hirschau vorgezogen. Wir unterstützen, die von der SPD und anderen Fraktionen beantragte Vorziehung des Baus einer Multifunktionssportfläche in Hirschau, sowie die Vorziehung des Baus der Güterbahnhofunterführung und den Umbau der Ortsdurchfahrt Unterjesingen.

Insgesamt haben wir damit den Ergebnishaushalt um 450 000 € verschlechtert und den Investitionshaushalt um weitere 440 000 € belastet.

Wie finanzieren wir das nun? Wie sie wissen, und die Bürgerinnen und Bürger der gestrigen Presse entnehmen konnten, haben sich an diesem Punkt die Tübinger Liste, die CDU, die FDP und die Linken verabschiedet. Sie waren im Gegensatz zu den Fraktionen, die nun den HH machen, also AL/Grüne, SPD und die Fraktion, nicht bereit den Finanzierungsvorschlag der Stadtverwaltung – nämlich Grundsteuererhöhung und Gewerbesteuererhöhung – mitzutragen. Sie waren nicht bereit, hier Verantwortung zu übernehmen und den Bürgerinnen und Bürgern klar zu sagen, dass es ohne diese Maßnahmen nicht geht. Ihr Vorschlag zur Finanzierung war entweder, das Kostendämpfungsprogramm um 900 000 € bzw. 1,8 Millionen € zu erhöhen, obwohl noch nicht einmal klar ist, wie das von der Stadt bereits vorgeschlagene Kostendämpfungsprogramm und die Globale Minderausgabe von insgesamt 7,5 Millionen € umgesetzt werden soll. Kürzungsvorschläge für ihr Kostendämpfungsprogramm kamen dazu von ihnen im niedrigen fünfstelligen Bereich, die niemals diesen hohen Fehlbetrag von 900 000 € bzw. 1,8 Millionen € erreicht hätten. Außerdem wurden wahlweise 3, 7 oder 13 Stellen zur Streichung vorgeschlagen. Das ist angesichts des hohen Engagements der städtischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die auch gerade in Zeiten von Corona viele Überstunden aufbauen, und mit der Arbeit kaum rum kommen kein freundlicher Akt. Vorgeschlagen wurde auch den HH noch weiter ins Minus laufen zu lassen, obwohl der OB und unsere Fachfrau Frau Holzbrecher und unser Fachmann Herr Züfle klar gemacht haben, dass wir sowohl Sparmöglichkeiten als auch Ertragsmöglichkeiten leisten müssen, um den HH vom RP genehmigt zu bekommen. Die Vorstellung man nimmt der – wie es mehrmals genannt wurde – aufgeblähten Verwaltung das Geld weg und verschont damit die Bürgerinnen und Bürger ist nicht nachzuvollziehen. Denn mit den Einsparungen, die jetzt schon vorgesehen sind, werden die Bürger und Bürgerinnen auch belastet, sie werden länger auf eine Baugenehmigung warten müssen, wir werden länger auf einen Termin beim Bürgeramt warten müssen, sicherlich wird die Stadtbücherei ihre Öffnungszeiten einschränken müssen, wo sollen denn sonst die 7,5 Millionen € eingespart werden?

Natürlich sind wir auch kein Freunde von Steuererhöhungen, die Gewerbesteuer in Zeiten der Krise zu erhöhen, muss gut überlegt sein. Andererseits sind 10 Punkte sehr bescheiden – RT diskutiert 30 Punkte – und die Gefahr, die von konservativen Kreisen an die Wand gemalt wird, dass dann die Betriebe abwandern, ist nicht gegeben. Wir sind hier keine sterbenden Braunkohleregion, die sich noch über die Ansiedlung eines Getränkehandels freut, sondernd uns rennt man hier die Bude ein. Die Nachfrage nach Gewerbeflächen ist ungebrochen. Von daher ist diese Steuererhöhung vertretbar. 

Und die Grundsteuer hat in der Tat den Nachteil, dass sie auf die Mieter und Mieterinnen umgelegt werden kann, aber nicht muss! Außerdem ist sie doch in gewissem Maße eine gerechte Steuer, denn wer eine kleine Altbauwohnung hat, zahlt deutlich weniger, als die Besitzerin eines Einfamilienneubaus. 

Ich finde es schade, dass in dieser Krisenzeit nicht alle Fraktionen zusammen stehen können und gemeinsam Verantwortung tragen, so wie wir es nach intensiven Diskussionen beim Verabschieden des Klimaprogramm erlebt haben. Aber der angebotene Kompromiss war aus unserer Sicht keiner, da fehlten immer noch 5 Millionen € und das ist mit uns eben nicht zu machen. Wir respektieren natürlich ihre Entscheidung und wir bedanken uns für die Zusammenarbeit, für die gute Atmosphäre in der diese unterschiedlichen Auffassungen diskutiert wurden und hoffen trotzdem auf eine weiter gute Zusammenarbeit. Bedanken möchte ich mich aber vor allem bei der SPD und der Fraktion, für den konstruktiven Austausch, für die Bereitschaft manche der eigenen Wünsche und Vorstellungen mit Rücksicht auf die beiden anderen Fraktionen hinten anzustellen. Herzlichen Dank dafür. 

Und nun will ich noch kurz etwas zur Presse sagen: Wir hatten hier noch nicht fertigverhandelt, da wurden wir AL/Grüne schon im Online Tagblatt von Herrn Stegert mit Häme und Spott überzogen. Von „Doppelmoral“ ist da zu lesen, „mit feuchten Augen stehen wir am Rande von FfF Demos“, wir sind „stolzbesoffen“, wir „attackieren andere Gemeinderatsmitglieder persönlich“, wir sind „Hasenfüße“. Ich bin echt sprachlos. Herr Stegert wir sind jeden Tag mit ihrer Abneigung gegenüber dem OB konfrontiert. Offensichtlich weiten sie das jetzt auf uns aus. Ich weiß nicht wieso sie mit uns so umgehen, ich finde es ungemessen. Vielleicht gehen sie noch einmal in sich und überlegen, ob das der richtige Umgang ist mit Menschen, die sich hier immerhin für das Gemeinwohl einsetzen, vielleicht nicht immer in ihrem Interesse und vielleicht aus ihrer Sicht für die falschen Themen oder in der falschen Art und Weise, und sicherlich machen wir Fehler, aber so ein Rest von anständigem Umgang miteinander würde ich mir einfach wünschen. Und dann möchte ich noch etwas Inhaltliches sagen: Es ist schlicht und einfach falsch, was gestern im Tagblatt stand. Frau Lohr wir sind mit dem Vorschlag der SPD in der Variante von Herrn Schöning mitgegangen, d.h. wir haben hier – gemeinsam mit der SPD und der Fraktion – den Weg bereitet für eine umfassenden Veränderung des ÖPNV. Und wenn ich dann in der Sitzung als Moderatorin frage: „Wie soll man ein solches Angebot im nächsten Jahr finanzieren?“ dann ist das eine legitime Frage, in einer HH-Verhandlung, wo es nämlich genau darum geht, wie man etwas finanziert. Offensichtlich sind sie mit dem Instrument der Nahverkehrsabgabe nicht vertraut, dazu empfehle ich den Mantelteil ihrer Zeitung vom letzten Samstag, da wird das gut erläutert. Können sie ja vielleicht noch einmal raussuchen. 

Im Vorfeld dieser Sitzung hat jemand aus einer anderen Fraktion gefragt, ob wir angesichts des schwierigen Kompromisses, der uns bei der Finanzierung des HH 2021 bevor steht, wirklich öffentlich tagen sollen. Ich habe mich für das öffentliche Debattieren ausgesprochen, weil ich Transparenz wichtig finde. Wenn das aber dazu führt, dass Sie Diskussionen, die noch im Gange sind, Abwägungen die noch getroffen werden müssen, dann fälschlicherweise als Endresultat im Tagblatt bringen, dann sind Sie von der Presse mit dem Vertrauensvorschuss den es bedeutet, bei so einem „Work in progress“ dabei zu sein, nicht verantwortlich umgegangen. 

Trotz all diesem Ärger freuen wir uns den nach mehreren interfraktionellen Verhandlungsrunden erarbeiteten Haushalt 2021, wie wir ihn am Dienstagabend vereinbart haben, zuzustimmen.

Vielen Dank

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