Beteiligungsprozess Schindhaubasistunnel

Annette Schmidt AL/Grüne im Gemeinderat Tübingen

Aus heutiger Sicht erscheint der Bau des Schindhaubasistunnels aus der Zeit gefallen und würde vermutlich nicht mehr so geplant werden. Wir begrüßen daher ausdrücklich, dass politische Gruppierungen und Initiativen in der Stadt dieses Thema aufbringen und uns hier herausfordern. 

Was spricht gegen den Tunnel: Ich will es kurz machen, denn die Fakten sind bekannt: 

Um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, auf das wir uns in Paris verpflichtet habe, ist es notwendig, den Autoverkehr in Deutschland bis 2035 zu halbieren und den Pkw-Bestand in den Städten auf ein Drittel des heutigen Wertes zu senken.

Jetzt wissen wir aber alle, dass der Bau neuer Straßen das Autofahren attraktiver macht und mehr Verkehr schafft. Das ist also schon einmal ein schlagendes Argument gegen den Tunnel. 

Wir wollen alle zusammen die Verkehrswende erreichen, dies gelingt uns nur dann, wenn wir massiv in den Ausbau der Schiene – also in den Nah- und den Fernverkehrs – investieren, wenn wir Mittel in allen Haushalten zu Gunsten der Schiene umwidmen. Auch das spricht gegen ein 340 Millionenprojekt, von dem wir alle wissen, dass es dabei nicht bleibt. 

Bei Tunnelbauten entstehen enorme CO2-Emissionen durch den Verbau von riesigen Mengen an Stahl und Beton, auch das spricht gegen den Schindhaubasistunnel. 

Auch bedeutet der Bau eines Tunnels einen großen Eingriff in die Landschaft, mit entsprechenden Belastungen für den Umwelt- und den Naturschutz.

Und last – but not least – widerspricht der Bau in jeder Hinsicht unserem eigenen Klimaschutzprogramm „Tübingen macht blau“. 

Und es gibt noch viele weiter Gründe. Diese auszuführen, überlasse ich jetzt mal dem Jugendgemeinderat, die haben sich damit sehr intensiv beschäftigt. 

O.K. warum stimmen wir dann nicht einfach alle der Resolution zu, engagieren uns auch in der Folge gegen den Bau des Tunnels und gut ist. 

Es gibt eben auch Gründe für den Bau. 

AL/Grüne hat vor 30 Jahren sehr für den Tunnel gekämpft, im Gegensatz zur damals geplanten offenen Trasse, erschien der Tunnel uns eine gute Lösung, denn dadurch können für die Stadtentwicklung und den Wohnungsbau in der Südstadt weitere Flächen erschlossen werden, Flächen im Innenbereich die wir dringend benötigen. 

Außerdem sollen die verkehrsgeplagten Bewohner:innen des Französischen Viertels und die Anwohner:innen in der Südstadt von Lärm- und Abgasemissionen entlastet werden. Im Vertrauen auf diese Planung, haben viele Bewohner:innen dort ihre Wohnungen gebaut bzw. sind dort hingezogen. 

Es geht also auch um so etwas wie Verlässlichkeit in der Politik. 

Bürger:innen haben eine optimierte Ein- bzw. Ausfahrt in den Tunnel geplant, die das RP sogar aufgenommen hat. Das wurde damals als großer Erfolg gefeiert, weil das RP normalerweise nichts von Planungen der Bürger:innen hält und diese schon gar nicht in seine eigenen Pläne übernimmt. 

O.K. warum stimmen wir dann nicht einfach alle gegen die Resolution und gut ist. 

Eine Entscheidung des Tübinger Gemeinderates gegen den Bau des Tunnels in einer Art „Handstreich“, initiiert durch die Resolution des Jugendgemeinderates, von der der Großteil der Bevölkerung Tübingens noch keine Kenntnis hat, widerspricht unserem Demokratieverständnis. 

Gut so weit wird es vermutlich heute auch nicht kommen. Und auch wenn es so weit käme, ist ja völlig offen, ob das überhaupt Auswirkungen auf den Tunnelbau hat. Ich erinnere an die Debatten um die B27 angeführt vom verstorbenen Peter Bosch „Niemals vierspurig durchs Neckartal“. Da war die Stadt von Anfang an dagegen, das hat den Bund wie wir wissen kein bisschen beeindruckt. Das kann heute aber auch anders sein. Wie auch immer. 

Wir sollten diese mahnenden Stimmen schon ernst nehmen, denn sonst fällt uns das in 8 oder 10 Jahren, wenn der Tunnel dann wirklich gebaut werden sollte auf die Füße. Es ist zu erwarten, dass die Klimathematik weiter an Fahrt aufnimmt, und dass in 8 bis 10 Jahren – wenn der Tunnel gebaut werden soll – nicht nur die Grünen und die Jugendlichen ein Problem damit haben, sondern auch die Wähler:innen andere Parteien. Ich glaube nicht, dass sich SPD und CDU langfristig dieser Diskussion entziehen können, sondern die Tübinger Stadtgesellschaft muss sich nach 30 Jahren dieser Debatte stellen. 

Es geht uns mit diesem Antrag also nicht, um eine Vertagung, weil wir als AL/Grüne da unterschiedlicher Meinung sind und ein Problem haben. Ja, wir haben unterschiedliche Einstellungen zu dieser Frage in unserer Fraktion, aber machen sie sich keine Sorgen, wir haben schon größere Herausforderungen als Fraktion gemeistert, das zerreißt uns nicht. 

Es geht uns vielmehr darum, dass wir die Entscheidung für oder gegen den Tunnel, die vor 30 Jahren getroffen wurde, auf den Prüfstand stellen. 

Wir müssen uns fragen, ob es nicht bessere Lösungen für das konstatierte Verkehrsproblem gibt und diese Fragen müssen in einem großen Beteiligungsprozess erarbeitet und bearbeitet werden. 

Welche Rolle kann die Regionalstadtbahn spielen? 

Welche anderen attraktiven ÖPNV-Alternativen gibt es?

Wieviel Individualverkehr werden wir in 10 Jahren tatsächlich noch haben und wieviel davon kann tatsächlich aus der Stuttgarter Straße in den Tunnel verlagert werden?

Wie sieht die gesamte verkehrliche Entwicklung in der Südstadt aus, die ja von drei bzw. von vier Richtungen durch Bundesstraßen in die Zange genommen wird? 

Wie kann die Verkehrssicherheit in der Südstadt auch ohne den Tunnel hergestellt werden?

Ist eine zweispurige Röhre anstatt einer vierspurigen Röhre möglich?

Wie hoch sind die grauen Emissionen tatsächlich und kann mit den in der letzten Woche zugesagten Milliarden an Beihilfen des Bundes für „grünen Stahl“ schon mit Ergebnissen beim Bau des Tunnels gerechnet werden?

Im Übrigen geht es hier ja nicht nur um ein Tübinger Thema, sondern es handelt sich beim Schindhaubasistunnel um ein Teilstück einer großräumigen Planung des Bundes für die Bundesfernstraße B27 von der die gesamte Region Neckar-Alb betroffen ist. Es geht also auch um die Entlastung von Pendler:innen. Uns ist das hier klar, aber wenn ich mir die Mails so durchlesen, dann habe ich manchmal das Gefühl, es geht hier um ein Verkehrsprojekt für das Französische Viertel. 

Aus all diesen Gründen halten wir es für unerlässlich, sowohl mit der Bevölkerung Tübingens als auch mit der Region in einen umfassenden und ergebnisoffenen Dialog über Verkehrskonzepte mit und ohne Tunnel einzutreten, bevor sich der Gemeinderat abschließend zum Tunnel positioniert.

Bei diesem Prozess soll natürlich auch ganz besonders die junge Generation eingebunden werden, die von dieser Entscheidung noch lange betroffen sein wird. 

Was erwarten wir von diesem Prozess, der natürlich nicht alle gegensätzlichen Interessen lösen wird? Wir erwarten, dass wir besser informiert unsere Entscheidungen für oder gegen den Tunnel treffen können, dass wir miteinander in den Dialog treten, dass sich verhärtete Fronten auflösen und vielleicht auch, dass es Respekt und Toleranz gibt, für die andere Seite. 

Und wir möchten bei den anderen Fraktionen sehr für diese Vorgehen werben. Wir sind zutiefst davon überzeugt, wenn wir jetzt hier einen auf Augen zu und durch Machen, dann kann sich der Protest so ausdehnen, dass wir in 10 Jahren vor einem Scheiterhaufen stehen, der Tunnel nicht gebaut werden kann, weil er sich nicht mehr politisch durchsetzen lässt und wir auch keine Alternativen haben. 

Ja ein schlechtes Gewissen habe ich bei diesem Vorschlag, weil das Arbeit für die eh schon überarbeitete Stadtverwaltung bedeutet und eigentlich wäre es die Aufgabe des Bundes oder des RP. Aber der Bund wird das nicht machen, daher sehe ich keine andere Ansprechpartnerin für diese legitimen Interessen der Resolutionsbefürworter:innen als die Tübinger Stadtverwaltung.

https://rp.baden-wuerttemberg.de/rpt/abt4/b27-28/

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