von Annette Schmidt
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Palmer,
Sehr geehrter Herr erster Bürgermeister Soehlke,
Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Dr. Schäfer-Vogel,
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen des Gemeinderats,
Sehr geehrte Gäste,
Meine Rede ist in drei Teile geteilt. Im Teil 1 frage ich mich:
Teil 1 – Was ist eigentlich passiert?
Ich will anhand von drei Zahlen erläutern, was mit unserem Haushalt passiert ist:
Im Jahr 2023, also im vorletzten Haushalt, haben wir für Personal 95 Mio. EUR ausgegeben, jetzt sind es 112 Mio. EUR, also 17 Mio. EUR mehr. Dafür gibt es zwei Gründe, zum einen gab es einen sehr guten Tarifabschluss für die städtischen Beschäftigten und zum anderen haben wir neue Stellen geschaffen.
Zweitens sind die Aufwendungen für Sach- und Dienstleistungen von 50 auf 60 Mio. EUR gestiegen, also um 10 Mio. EUR. Dies lässt sich damit erklären, dass die Kosten für die Bewirtschaftung unserer Gebäude – also Strom, Heizung, Reinigung -, gestiegen sind. Und drittens ist die Kreisumlage im Vergleich zu vor zwei Jahren um knapp 20 Mio. EUR gestiegen.
Addiert man diese drei Zahlen, also 17, 10 und 20, so kommt man knapp auf 50 Mio. EUR.
Das erklärt grob die Differenz von 20 Mio. EUR plus im Jahr 2023 zu 30 Mio. EUR minus im Jahr 2025. Gleichzeitig sind die Einnahmen deutlich geringer gestiegen als in den Vorjahren.
Und was ist jetzt hier schiefgelaufen? Haben tatsächlich – wie von der CDU in den Sozialen Medien gepostet, der OB und die AL/Grünen diesen Haushalt ruiniert? Also, wenn das so wäre, dann hätten wir ihn zumindest gemeinsam mit der CDU ruiniert, denn die hat in den letzten Jahren immer dem Haushalt zugestimmt.
Aber so einfach ist es natürlich nicht:
Laut Deutschem Städtetag, sind derzeit nur 13 Prozent der Städte in Baden-Württemberg in der Lage, einen ausgeglichenen HH zu erstellen. In Anbetracht der geringen Anzahl von Grünen OBs taugt diese Erklärung also erkennbar nicht.
Vielmehr hat sich die Wirklichkeit fundamental verändert. Das alte wirtschaftliche Erfolgsmodell beruhte auf günstigem Gas aus Russland, auf China als Absatzmarkt und darauf, dass wir das Geld für die Verteidigung sparen konnten, weil andere das für uns finanziert haben. Alles das funktioniert so nicht mehr, was zu einer tiefgreifenden Wirtschaftskrise inklusive Inflation führte. Seit 2018 gibt es praktisch kein Wirtschaftswachstum mehr.
Wir haben einen Krieg in Europa, der hohe Kosten verursacht und Menschen zur Flucht zwingt. Die große Koalition war zwar weitgehend schuldenfrei, aber sie hat uns eine völlig marode Infrastruktur – also eine verdeckte Verschuldung – hinterlassen. Zum Beispiel die Deutsch Bahn, die Digitalisierung kam nicht voran, die Klimakrise wurde nicht angegangen etc.
Wir sind davon überzeugt, dass wir es in Tübingen besser gemacht haben. Wir haben unsere Schulen weitgehend saniert, in unsere Rathäuser investiert, in Brücken und in erneuerbare Energien. Wir haben Kinderhäuser gebaut, Stadtteiltreffs eingerichtet und Altenheime saniert.
Es war gut und richtig, in Zeiten von niedrigen Zinsen in die Stadt zu investieren.
Ja, in puncto Straßensanierung gibt auch bei uns einen Investitionsstau. Ja, wir haben uns in guten Zeiten manche Dinge geleistet, die man vielleicht nicht unbedingt benötigt hätte, die weit über die Pflichtaufgaben hinausgehen. Aber prinzipiell war unser Vorgehen richtig, wir würden es wieder so machen.
Die Wirtschaftskrise hat sich bisher nicht so stark auf unseren Haushalt ausgewirkt, weil die Gewerbesteuereinnahmen noch relativ hoch sind. Aber sie werden in den nächsten Jahren sinken, davon müssen wir ausgehen.
Zusätzlich haben Bund und Land den Kommunen neue Aufgaben übertragen, die unsere Finanzen belasten. Das Konnexitätsprinzip – also wer bestellt bezahlt – ist ausgehebelt. Zudem sind die Aufgaben des Kreises und die Fallzahlen, z.B. bei der Jugendhilfe, der Wiedereingliederung etc. stark gestiegen, was wiederum den enormen Anstieg der Kreisumlage erklärt.
Zusammengefasst kann man festhalten, dass die Gründe für die angespannte Lage der Finanzen der Stadt Tübingen eher im komplexen System des föderalen Finanzausgleichs zu sehen sind und stark von der gesamtwirtschaftlichen und gesamtpolitischen Lage beeinflusst werden. Sie sind nicht – wie von den konservativen Parteien vermutet – auf interne Fehlentwicklungen zurückzuführen.
Teil 2 – Wie lösen wir das Problem?
Wir stehen in Tübingen – wie alle anderen Kommunen auch – vor großen transformativen Herausforderungen. Dies betrifft vor allem die Themen Energie, Digitalisierung, sozialer Wohnungsbau, aber dafür fehlen uns die Mittel.
Das Thema Bäder ist zwar keine Frage der sozial-ökologischen Transformation, aber auch eine wichtige Frage für Tübingen. Wir sind in der Fraktion noch nicht am Ende mit den Beratungen, daher spare ich dieses Thema hier aus.
Wie lösen wir also unser Finanzproblem? Wir sehen vier Lösungsansätze.
Allerdings können wir nur einen davon direkt beeinflussen und das ist das Sparen. Dazu hat die Stadtverwaltung eine umfassende Liste vorgelegt, eine wahnsinnige Fleißarbeit. Vielen Dank dafür. Diese Liste basiert auf der Idee, dass wir alles, was wir in den letzten 12 Jahren auf den HH draufgesattelt haben, kritisch unter die Lupe nehmen und gegebenenfalls kürzen. Das ist schmerzhaft. Vieles, was wir in den letzten Jahren wohlüberlegt aufgegriffen haben an Bedarfen aus der Bürgerschaft, diskutiert und sehr oft interfraktionell beschlossen haben, müssen wir jetzt infrage stellen. Entsprechend heftig sind die Rückmeldungen, die uns erreichen.
Wir müssen zweitens von den hohen Transferleistungen an den Landkreis runterkommen. Das würde bedeuten, dass dieser ebenfalls ein Konsolidierungsprogramm auflegt, und versucht seine Effizienz deutlich zu verbessern. Dies ist bisher nicht geschehen, man hat die einfachere Nummer gewählt und die Kreisumlage saftig erhöht. Allerdings muss hier einschränkend erwähnt werden, dass der Kreis deutlich weniger Spielräume bei den Freiwilligkeitsleistungen hat. Die Pflichtaufgaben überwiegen, hier wird also weniger einzusparen sein als bei der Stadt (diesen Satz hat mir mein Mann in die Rede geschrieben, der ist Kreisrat).
Außerdem muss drittens der Bund stärker in die Pflicht genommen werden. Einfach bestellen und nicht bezahlen geht nicht mehr. Wie das allerdings funktionieren soll, wenn die Parteien sich gegenseitig mit Versprechen nach Steuersenkungen übertreffen – die CDU ist jetzt bei schlappen 100 Milliarden EUR – ist uns schleierhaft. Solche Versprechungen sind Gift für die Kommunen.
Und schließlich sollten sich viertens auch die Bürgerinnen und Bürger frei nach John F. Kennedy nicht nur fragen, was deine Stadt für dich tun kann, sondern was du für deine Stadt tun kannst. Laut einer Statistik der DZ Bank – das ist ein Zusammenschluss der Volks- und Raiffeisenbanken – sind die privaten Haushalte so reich wie noch nie. Im vergangenen Jahr hat sich das nominale Geldvermögen noch einmal um 6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr erhöht. Es beträgt die unvorstellbare Zahl von 10 Billionen, also 10 000 Milliarden EUR. Dieses Geld muss auch zur Finanzierung von sozialen Leistungen, von Kultur, von CO2 Reduzierung herangezogen werden. Es ist zu wenig, mit zwei Klicks die immer gleiche Mail an alle Gemeinderäte zu verschicken – wahlweise ergänzt durch ein paar unverschämte Unterstellungen gegenüber dem Gemeinderat und darin zu fordern, dass die Ausgaben für das Zimmertheater nicht gekürzt werden sollen. Man muss selbst aktiv werden, sich engagieren, z.B. einfach mal hingehen, am besten regelmäßig, ehrenamtlich Thekendienste übernehmen oder Geld spenden.
Auch beim Thema Spenden muss sich noch einiges ändern. Vor vier Wochen hat sich einer unserer Zuschussempfänger per Mail bei uns über die Kürzungen beklagt. Ein Mitglied aus unserer Fraktion schätzt die Arbeit dieses Vereins besonders und hat daher einen namhaften dreistelligen Betrag überwiesen. Das hat das Fraktionsmitglied auch in seiner Antwort an den Zuschussnehmer angekündigt. Es kam keinerlei Reaktion, kein Dank, gar nichts. Also da sehen wir noch deutliches Potential in Sachen Fundraising.
Teil 3 – Was schlagen wir konkret für diesen Haushalt vor?
Zuerst dachten wir, der Umgang mit der Konsolidierungsliste könnte so funktionieren, dass wir z.B. alle klimarelevanten Einsparungen ausnehmen, damit wir unserem grünen Markenkern gerecht werden. Aber dies hätte ein übermäßiges Sparen im sozialen oder im kulturellen Bereich bedeutet, Bereiche, die uns auch sehr wichtig sind. Wir haben uns dann doch jeden einzelnen Sparvorschlag genau angeschaut und abgewogen. Wir haben die von der Stadtverwaltung vorgelegte Liste in vielen Teilen akzeptiert. Erfreulicherweise haben das die anderen Fraktionen, mit Ausnahme der Linken, auch getan. Das müssen wir leider auch, sonst verpassen wir das vereinbarte Einsparziel von 15 Mio. EUR. Dennoch sind manche von der Verwaltung vorgeschlagenen Maßnahmen, vor allem im Umweltschutz und im sozialen Bereich, bei Kindern, Jugendlichen, Geflüchteten und bei der Gleichstellung, so nicht tragbar für uns. Dort haben wir Korrekturen angebracht, die ich jetzt vorstelle.
Und da ich die erste bin, die spricht, erläutere ich noch kurz für die Gäste Folgendes:
Es gibt Vorschläge der Verwaltung, die bereits ab 2025 greifen und solche, die erst ab 2026 wirksam werden. Und dann gibt es noch die sogenannte Reserve. Hier gibt es einige Verwirrungen, wie wir heute dem Tagblatt entnehmen konnten. Diese Posten bleiben zunächst erhalten, könnten aber nötigenfalls später eingespart werden. Hier sind viele Punkte enthalten, bei denen eine Kürzung für uns auf keinen Fall in Frage kommt. Da diese bisher aber auch nicht vorgeschlagen sind, will ich auf diese Punkte nicht weiter eingehen.
Das sind unsere Änderungsvorschläge:
- Mehrausgaben gegenüber dem Verwaltungsvorschlag
Was die Kürzungen im Bereich Schulsozialarbeit angeht, so können wir uns angesichts der schwierigen Lage in den Schulen kein Konzept der Welt vorstellen, dass 11 Stellen entbehrlich macht. Nach der Vorlage des Konzeptes werden wir erneut darüber verhandeln. Außerdem möchten wir in jedem Fall eine Reduzierung der Stellen zeitlich befristen.
Wir möchten das Förderprogramm Artenvielfalt erhalten, denn die Stadt ist bisher in Sachen Artenschutz eher schwach aufgestellt. Es wurde viel Energie in die Erstellung des Programms gesteckt, das gerade erst anfängt, Früchte zu tragen. Daher wollen wir diese Förderung in Höhe von insgesamt 20 000 EUR pro Jahr im Haushalt belassen.
Der Verein Move on unterstützt die Integration von Geflüchteten sehr professionell und wirkungsvoll. Wir wollen daher den Zuschuss nur halbieren und nicht komplett kürzen.
Wir möchten die Stelle der Queer-Beauftragten erhalten, denn diese hat in kurzer Zeit sehr gute Vernetzungsarbeit geleistet, die nicht zerschlagen werden sollte.
Wir möchten weniger drastische Kürzungen für den „Lernort Berghof“ der KIT Jugendhilfe, für die Kinder– und Jugendfarm, für das Ki–Dojo Tübingen (das ist der Verein für Kampfkunst und Gewaltprävention e.V.) sowie für die Mobile Jugendarbeit. Hier wird überall Großartiges für Jugendliche in schwierigen Lebenslagen geleistet, was wir auch weiterhin angemessen unterstützen wollen.
Die Kürzung des Zuschusses für die Kontakt- und Anlaufstelle zur Berufsorientierung junger Menschen K.I.O.S.K. wollen wir in die Reserve stellen, d.h. sie soll erst einmal nicht wirksam werden.
Ebenso die Stelle für die Sammlungsbetreuung für das Stadtmuseum, weil sie enorm wichtig ist für das Funktionieren eines Museums.
- Minderausgaben gegenüber dem Verwaltungsvorschlag
Das Verwaltungsgebäude Münzgasse kann aus unserer Sicht veräußert werden.
Die Geschenke für die Altersjubilare können sofort abgeschafft werden, die Jubilare kommen aus einer Generation, die versteht, dass man auch mal sparen muss.
Der Marktplatz für gute Geschäfte ist unbestritten eine gute Idee, aber aus unserer Sicht muss das neu aufgestellt werden, ohne die Stadtkasse zu belasten.
Die Übernahme der Versicherung für das JobRad kann gestrichen werden.
Das Stadtschreiberstipendium soll erst wieder ab 2027 ausgeschrieben werden.
Die Gebühren beim Bezahlen von Parkgebühren mit dem Mobiltelefon werden nicht mehr von der Stadt übernommen.
Die Schlosshofkonzerte fallen vorerst aus.
Einer von drei Häckselplätzen wird geschlossen, wir sind auch mit zwei Plätzen noch gut versorgt.
- Neue Sparvorschläge
Außerdem haben wir noch zwei neue Einsparvorschläge, zum einen sind wir der Meinung, dass 80 000 EUR Heizkosten bei städtischen Gebäuden eingespart werden können, durch eine gezielte Vor-Ort-Beratung und Kontrolle.
Und perspektivisch sollte die Stadt überlegen, ob es nicht auch im Bereich Kunst und Kultur noch Einsparpotenzial gibt. Wir haben da mal einen niedrigen Betrag von 50 000 EUR angenommen.
Zum Schluss möchte ich noch einmal betonen, dass es auch für uns keine einfache Situation ist, in der wir uns befinden. Niemand von uns ist mit dem Wunsch angetreten, direkt in den ersten Haushaltsverhandlungen nach der Gemeinderatswahl über solche weitreichenden Kürzungen zu entscheiden und wir möchte Ihnen versichern, dass wir nichts davon auf die leichte Schulter nehmen. Keiner der vorgeschlagenen Kürzungen, der wir zustimmen werden, stimmen wir leichtfertig zu. Wir sehen die Relevanz all der Projekte, Träger, Vereine und Angebote, bei denen nun über Einsparungen diskutiert wird. Wir schätzen ihre Arbeit und das, was sie zur Stadtgesellschaft beitragen. Und trotzdem bleibt uns in dieser Lage nichts anderes übrig, als Einsparungen vorzunehmen. Denn die Alternative, nämlich dass das Regierungspräsidium die Federführung übernimmt, ist noch schlechter. Dann wäre das Zimmertheater vermutlich morgen zu und die Schulsozialarbeit auf ein Minimum abgeschmolzen. Das gilt es zu verhindern.
Vielen Dank
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