KITA

Rainer Drake sagte im Gemeinderat zur KITA

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, liebe Frau Dr. Harsch, lieber Herr Soelke, liebe Kolleginnen und Kollegen im Rat, liebe Vertreter:innen der Verwaltung, liebe Gäste,

Hinter uns liegen turbulente Wochen. Ich bin mit dem Thema quasi abends ins Bett gegangen und morgen wieder damit aufgestanden. 

Ohne das intensive Engagement von Eltern, vom GEB, vom Dachverband und vieler anderer ehrenamtlich tätiger Menschen, ohne die zahlreichen Treffen und Gespräche, ohne die unzähligen Mails, Whatappnachrichten und Telefonate der vergangenen Wochen stünden wir heute wohl nicht hier. Es war eine herausfordernde Zeit. 

Mein Dank gilt deshalb zu Beginn allen Kolleg:innen im Rat und allen anderen, die sich in den vergangenen Wochen so dafür eingesetzt haben. 

Dies wird wohl die längste Stellungnahme, die ich in den vergangenen 15 Jahren gehalten habe. Zunächst einmal zur heute vorgelegten und fraktionsübergreifend ausgearbeiteten Beschlussvorlage: 

Sie ist, so schwer mir das auch fällt zu sagen, meiner Überzeugung nach das Beste, was im Moment möglich ist. Wir müssen die Anmeldung starten. Es ist jedoch nichts, womit ich und womit wir gut schlafen können. Wir versuchen lediglich den Mangel bestmöglich zu organisieren und werden damit Eltern und Mitarbeiter:innen viel abverlangen. Andere Kommunen mit anderen Rahmenbedingungen gehen andere Wege. Ich meine jedoch, dass für Tübingen ein „Weiter so“ weder den Eltern noch den Kindern und auch nicht den Fachkräften gegenüber gerecht wird. 

Wir müssen den Tübinger Realitäten ins Auge sehen. 40 unserer 43 Einrichtungen erfüllen nicht die personellen Anforderungen. In den Einrichtungen wird quasi von Tag zu Tag reagiert, weder wissen die Eltern, was am nächsten Morgen ist, noch tun dies die Mitarbeiter:innen. Dieser Zustand kann so nicht weitergehen. Zumindest nicht für das kommende Kindergartenjahr. Denn, auch wenn wir heute beschließen – wir haben erst Februar. Eltern und Fachkräfte haben also noch 6 Monate vor sich.

Ich mag den Vergleich mit „Pest oder Cholera“ nicht. Aber es ist eine bittere Medizin, die wir nun schlucken müssen, in der Hoffnung, dass es danach besser wird.

Die vergangenen Wochen seit Weihnachten haben deutlich gemacht, dass wir viel besser werden müssen. Das wird nicht von heute auf morgen geschehen. Und manches davon wird richtig Geld kosten. Aber die Kinderbetreuung in Tübingen war immer etwas, worauf wir stolz waren. Dahin müssen wir wieder kommen. Der heutige Beschluss kann deshalb nur der allererste Schritt sein. AL/Grüne stimmen ihm zu.

Aber mit dem heutigen Beschluss fängt die Arbeit erst richtig an.

Wir sind stolz auf unsere Trägervielfalt. Die Diskussionen der vergangenen Wochen haben gezeigt, dass wir hier auch die anderen Träger beteiligen und mitbedenken müssen und welche Auswirkungen es für sie haben kann oder wird. 

Es hat sich gezeigt, dass der Punkt „Veränderte Öffnungszeiten“ untrennbar mit den Vergabekriterien verbunden ist. Ja, diese wurde im vergangenen Jahr mit dem GEB vereinbart und mit großer Mehrheit beschlossen. Aber damals dachte eben noch niemand daran (so hoffe ich), die Öffnungszeiten zu reduzieren. Insofern haben wir nun andere Rahmenbedingungen.

Und unter diesen sehen sich insbesondere kleine freie Träger bedroht. Bedroht in ihren pädagogischen Konzepten, bedroht in ihren weltanschaulichen Prinzipien und zum Teil bedroht in ihrer schieren Existenz. Und bisher ist es nicht gelungen, diese Sorgen auszuräumen.

Hier sehe ich uns als Stadt in der Pflicht. Nun ist ein großer Wurf gefragt. Die Frage „Wie kann Kinderbetreuung in Tübingen unter den aktuellen Bedingungen bestmöglich gelingen“ muss gemeinsam angegangen werden. Wie können wir unsere Trägervielfalt erhalten? Wo muss nach- oder umgesteuert werden?

Tübingen kann Beteiligungsprozesse. Das erleben wir aktuell beim Projekt „ZOB und Anlagenpark“. Die Frage Kinderbetreuung ist in meinen Augen eine noch größere Herausforderung. Sie ermöglicht Kindern eine frühpädagogische Bildung, sie ermöglicht berufliche Teilhabe und sichert dadurch Existenzen, sie steht für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und für Chancengerechtigkeit. Gerade für Frauen. Wir drohen gerade in vielen dieser Bereiche, um Jahrzehnte der Entwicklung zurückzufallen. Das ist eine der Botschaften der vergangenen Wochen. Das kann nicht sein.

Wir können das besser. Wir haben in den vergangenen Jahren viel getan. Es wurden sehr viele neue Plätze geschaffen, um den Bedarf zu decken. Nur eine Zahl zum Vergleich: in Ludwigshafen fehlen aktuell über 2.000 Plätze. Wir haben die erforderlichen Plätze, uns fehlen die Fachkräfte, um unsere Plätze auch besetzen zu können. Und dass, obwohl wir in den vergangenen 6 Jahren mehr als 100 zusätzliche FK (Vollzeitäquivalente) einstellen konnten.

Und trotzdem können wir 80 Stellen nicht besetzen. Solidarität unter den Kommunen ist wichtig. Aber solange der Mangel nicht durch selbstausgebildete Fachkräfte behoben werden kann, wird die Konkurrenz um das knappe Gut Erzieher:in“ auch unorthodoxe Maßnahmen erfordern.

Wir müssen „morgen“ beginnen, es besser zu machen. Parallel zum Anmeldeprozess müssen nun zwei Themen angegangen werden. 

Zum einen die Frage, wie man ganz konkret die kommenden Monate nutzt um jede, wirklich jede Option zu finden, die es uns ermöglicht, ab September etwas Besseres anbieten zu können als wir heute beschließen müssen.

Und zum Zweiten müssen wir Prozesse hinterfragen. Wie muss Beteiligung stattfinden? Wie werden Eltern und Mitarbeiter:innen informiert, wie beteiligt? Wie schafft man einen transparenten Vergabeprozess? Viele Schilderungen von Eltern wie von Fachkräften zeigen mir, dass dieser alles andere als transparent ist. Wie können wir sicherstellen, dass es den Mitarbeiter:innen in den Einrichtungen, in unseren wie in denen der anderen Träger, gut geht, dass sie Gehör finden, das Probleme angesprochen und angegangen werden? Wo braucht es Supervision, welche Angebote an Fort- und Weiterbildung fehlen? 

Auch die heutige Stellungnahme des Personalrats weist zurecht auf viele dieser Punkte hin.

Kurz gesagt, es braucht eine Task Force Kita. 

Zum Schluss noch einige grundsätzlicheren Worte.

Ich habe vor 18 Jahren begonnen, mich mit dem Thema Kita in Tübingen zu beschäftigen. 7 Jahre im Vorstand und Vorsitz des GEB und weitere 8 im Kubis als Vertreter der Schulen. Zwei Oberbürgermeister:innen und drei Sozialbürgermeister:innen. Ich habe den permanenten Mangel an Betreuungsplätzen begleitet und die dramatischen Kürzungen in der Finanzkrise. 

Nun bin ich eigentlich eher der Typ für die leiseren Töne. Aber nach den vergangenen Wochen muss ich feststellen „So etwas habe ich noch nicht erlebt. Wenn ich die vergangene Wochen Revue passieren lasse, dann ist um die Vorlage 6 ist meines Erachtens so ziemlich alles schief gegangen was schiefgehen konnte.“

Mehrfache Änderungen von Tagesordnungen, vollkommen missglückte Formulierungen, Missverständnisse allerorten, Erklärungen, die neue Frage aufwarfen, vertagte Entscheidungen, zwei Großdemos, auf dem Marktplatz und hier im Ratssaal und schließlich noch eine kurzfristige Großveranstaltung in der Hepperhalle mit voller Verwaltungskapelle.

Es gab Eltern, die vor dem Rathaus in Tränen ausbrachen, weil sie nicht wissen, ob ihr Leben noch so weitergehen kann wie sie es leben und brauchen, Fachkräfte die sich komplett übergangen fühlen, die sich fragen, ob, wie und wo sie in Zukunft noch arbeiten können und die deshalb in Gesprächen ganz offen von Kündigung sprechen, Träger, die nicht mehr wissen, wie es mit ihnen weitergehen kann.

All das zeigt, welche Brisanz in dieser Vorlage steckte und darin, wie sie eingebracht wurde. Ich schätze die Verwaltung sehr und habe viele Jahre sehr gut mit ihren Mitarbeiter:innen zusammengearbeitet. Gerade auch deshalb: sie muss sich selbstkritisch fragen, wie ein solches Desaster passieren konnte. 

Dinge können schief gehen und Menschen machen Fehler. Nun ist es umso wichtiger, die richtigen Schlüsse aus dem Ganzen zu ziehen und daraus zu lernen. Mein Blick geht deshalb nach vorn. Und auch wenn es bedeuten wird, dass viele weitere Treffen, Gespräche und Mails kommen werden – wir müssen zeigen, dass wir es besser können. Wir müssen die Kinderbetreuung in Tübingen wieder auf Kurs bringen. Das sind wir den Eltern in Tübingen schuldig. Das sind wir den Erzieher:innen in unseren Einrichtungen schuldig. Und das sind wir den anderen Trägern und deren Mitarbeiter:innen schuldig. Ich bin überzeugt, dass wir das gemeinsam schaffen können.

Vielen Dank.

1 Kommentar

  1. Fabian Bauer

    Und zum Zweiten müssen wir Prozesse hinterfragen. Wie muss Beteiligung stattfinden? Wie werden Eltern und Mitarbeiter:innen informiert, wie beteiligt? Wie schafft man einen transparenten Vergabeprozess? Viele Schilderungen von Eltern wie von Fachkräften zeigen mir, dass dieser alles andere als transparent ist. Wie können wir sicherstellen, dass es den Mitarbeiter:innen in den Einrichtungen, in unseren wie in denen der anderen Träger, gut geht, dass sie Gehör finden, das Probleme angesprochen und angegangen werden? Wo braucht es Supervision, welche Angebote an Fort- und Weiterbildung fehlen? ist schon in den Brunnen gefallen. Jetzt müssen sie einen Apparat von über 500 Mitarbeiter durch mindestens zwei Höllenjahre der Verunsicherung und Mitarbeiterabwanderung bewegen. Ich hoffe sie sehen jetzt auch ein, dass eine Kombination aus Abänderung der Vergabekriterien und der Öffnungszeitenkürzung toxisch ist. Vor allem im selben Jahr!

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